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Ja zur Energiewende! Nein zur 380-kv-Freileitung im Vorhaben 89!

Wissenschaftliche Zweifel am Amprion Vorhaben 89

Ein Interview mit dem Aktionsbündnis und Professor Dr. Lorenz J. Jarass

Der Vorhabenträger Amprion plant im gesetzlichen Auftrag eine neue Höchstspannungsfreileitung zwischen Westerkappeln und Gersteinwerk quer durch das Tecklenburger-, Osnabrücker- und Münsterland (BBPIG 89). Dagegen gibt es in der Region inzwischen einen breiten Widerstand: Neben der Gesetzespetition für eine Teilerdverkabelung der vier Kommunen Tecklenburg-Lienen-Lengerich-Ladbergen hat nun auch das Aktionsbündnis 89 die bisherige Planung grundlegend in Frage gestellt und ganz konkrete Planungsalternativen in Berlin auf den Tisch gelegt

Fachlich unterstützt wurden sie dabei von Prof. Dr. J. Lorenz Jarass und Dipl. Ing. Carsten Siebels. Prof. Dr. Jarass arbeitet seit mehr als 35 Jahren im Bereich erneuerbarer Energien und Stromnetze. Im Rahmen seiner intensiven Beratungstätigkeit für Regierungen, Netzbetreiber und Kommunen war er mehrfach Gutachter beim Deutschen Bundestag und beim Bundesverwaltungsgericht. Die beiden Wissenschaftler haben im Auftrag des Aktionsbündnisses ein wissenschaftliches Gutachten erarbeitet. 

Wir befragten den Gutachter Prof. Dr. Jarass und die Sprecher des Aktionsbündnisses, Mirjam Reischert und Thomas Hoffmeister-Höfener, nach den Ergebnissen.

Frau Reischert, vielleicht mal vorweg, wie ist es dazu gekommen, dass eine Bürgerinitiative einen Wissenschaftler mit einem Gutachten beauftragt?

REISCHERT: Ehrlich gesagt, waren wir über die Pläne von Amprion einfach nur bestürzt. Wir haben das riesige Zerstörungspotenzial des Vorhabens gesehen und uns verzweifelt gefragt, ob das sein muss, ob es nicht bessere Lösungen gibt. Und so sind wir auf die Idee gekommen, einen renommierten Fachmann zu fragen, da wir es selbst natürlich nicht beurteilen konnten. Dass sich unsere Intuition, dass es anders gehen muss, voll bestätigen würde, damit haben wir gar nicht unbedingt gerechnet, das war zunächst nur eine Hoffnung.

Herr Prof. Dr. Jarass, warum ist die geplante 380-kV-Wechselstromleitung zwischen Westerkappeln und Gersteinwerk nicht zwingend notwendig?

JARASS: Wir haben in unserem wissenschaftlichen Gutachten zeigen können, dass die Notwendigkeit dieser Wechselstromverbindung zwischen den Umspannwerken Westerkappeln und Gersteinwerk in Frage gestellt werden muss. Warum? Zunächst einmal grundlegend, weil für diese Maßnahme wie auch für andere Maßnahmen im aktuellen Netzentwicklungsplan keine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt wurde. Dies führt dazu, dass kostengünstigere Lösungen systematisch unberücksichtigt bleiben. Würde man die Kosten für den Bau dieser neuen Trasse in Relation zu dem Nutzen bei den Planungen beachten, dann wäre sehr schnell klar, dass man nach alternativen Lösungen suchen muss, um den Stromkunden nicht auf Jahre unnötige erhöhte Kosten für Netzentgelte/für den Stromnetzausbau zuzumuten. Zum anderen konnten wir nachweisen, dass es wesentlich kostengünstigere und effizientere Alternativen gibt: nämlich in der Bündelung mit anderen großen Strominfrastrukturprojekten, die ebenfalls die Region berühren bzw. beinahe zeitgleich dort realisiert werden sollen.

HOFFMEISTER-HÖFENER: Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass eine neue Höchstspannungsfreileitung quer durch eine Region, die durch eine dicht gewachsene Siedlungsstruktur und noch völlig intakten Landschaftsschutzgebiete verläuft, eine riesige Belastung und eine schwere Beeinträchtigung darstellt. Um es klar zu sagen: Der Raum verträgt es nicht - und dies gilt für alle Trassenvarianten, also für den gesamten Suchkorridor von Amprion. In der Abwägung zwischen fürsorglichem Schutz der Bevölkerung sowie Erhalt einer historischen Parklandschaft für nachkommende Generationen und der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme muss man also sehr plausible Gründe für einen solch gravierenden Eingriff anführen können. Sagen wir so: Die Planung müsste absolut alternativlos sein. Durch das Gutachten fühlen wir uns bestätigt: Sie ist es nicht.

Aber wenn es Ziel sein soll, die Stromtransportkapazitäten von Nord nach Süd zu erhöhen, wie immer wieder zu hören ist: Wie kann man das Ziel anders erreichen? Und: Wie kann das möglichst effizient und kostengünstig geschehen?

JARASS: Die Ziele des gesetzlichen Auftrages, nämlich Erhöhung der Transportkapazitäten und Netzstabilisierung unter Einbindung von Westerkappeln, können viel effektiver, zielführender, kostengünstiger und gemäß dem gesetzlichen Gebot der Bündelung von Strominfrastrukturprojekten umgesetzt werden, und zwar im Rahmen des jetzigen gesetzlichen Auftrages. Wir haben in unserem Gutachten allein vier Planungsalternativen ausgemacht. Sie haben alle eines gemeinsam: Der Strom aus der Nordsee sollte über die ohnehin geplanten neuen Gleichstrom-Kabel nicht nur bis Westerkappeln/Ibbenbüren und Wehrendorf geführt werden, sondern weiter nach Süden, z.B. bis in den Raum Gersteinwerk. Dadurch könnte die geplante 380-kV-Wechselstrom-Leitung Westerkappeln – Gersteinwerk entfallen.

REISCHERT: Diese konsequente Bündelung von Strominfrastrukturprojekten müsste doch ganz im Sinne des Gesetzgebers sein. Übrigens auch im Sinne unserer Landesregierung: Denn der Raum in NRW ist eine sehr kostbare Ressource! Durch eine Bündelung mit den ohnehin geplanten und ganz sicher umzusetzenden Gleichstrom-Projekten wird ein weiteres Zerschneiden eines Teiles des Münsterlandes verhindert. So kann ein unnötiger Eingriff in die Natur vermieden werden und alle FFH-Gebiete bleiben geschützt. Insbesondere wird eine Querung des Teutoburger Waldes gänzlich vermieden! Es ist niemandem in der ganzen Region noch plausibel zu vermitteln, warum solche Möglichkeiten, die Wohn- und Lebensraum bewahren, nicht konsequent umgesetzt werden.

Müssen dazu die Pläne der Gleichstrom-Projekte nicht grundlegend geändert werden? Müssen die Landwirte und die betroffenen Kommunen dann nicht mit noch größeren Flächeneingriffen rechnen?

JARASS: Kurz gesagt: Nein. Nach unseren Informationen sind vom Vorhabenträger in den von uns vorgeschlagenen Gleichstromprojekten zusätzliche Kapazitäten in Form von Leerrohren vorgesehen. Dieses Vorgehen in der Planung ist neu und durchaus vernünftig. Sie eröffnet bereits jetzt neue, ganz konkrete Bündelungs- und Umsetzungsmöglichkeiten beim Ausbau der Stromtransportkapazitäten

HOFFMEISTER-HÖFENER: Die Botschaft an die betroffenen Kommunen und Landwirte bzw. Grundstückseigentümer ist also klar: Es werden keine weiteren Flächen beansprucht. Statt zwei Großbaustellen käme dann nur eine Baustelle. Und die wäre genauso groß, wie die, die ohnehin kommt.

Aber sind die Planungen für die in Frage kommenden Gleichstrom-Projekte nicht schon so weit fortgeschritten, dass eine Bündelung des Leitungsbauvorhabens 89 mit diesen Projekten überhaupt gar nicht mehr in Frage kommt?

JARASS: Das können wir aus unserer Sicht nicht bestätigen. Warum? Die Inbetriebnahme der von uns vorgeschlagenen Gleichstromprojekte ist für 2032 vorgesehen, die Inbetriebnahme der geplanten Wechselstromleitung Westerkappeln-Gersteinwerk für 2033.

HOFFMEISTER-HÖFENER: Wir dürfen an dieser Stelle doch bitte nicht die größeren Ziele aus dem Blick verlieren! Und das größere Ziel muss doch sein: die Energiewende schnell und kostengünstig gestalten. Der Zeitplan der Gleichstrom-Projekte ist doch eher ein Argument FÜR die Bündelung. Denn was hindert uns daran, diese Projekte zeitplangemäß umzusetzen und dabei gleichzeitig die Ziele der geplanten Wechselstromleitung mit zu erreichen. Und zwar ohne diesen Stress- und Belastungstest für die gesamte Region. Denn das ist es jetzt schon.

REISCHERT: Die Reaktionen auf die Planungen dokumentieren eindrucksvoll die fehlende Akzeptanz der Planungen bei den Kommunen und der Bevölkerung. Es gibt in jeder betroffenen Kommune inzwischen Bürgerinitiativen mit bis zu 500 Mitgliedern, allein vier Kommunen haben eine Gesetzespetition gegen dieses Vorhaben eingereicht, mit bisher über 20.000 Unterschriften, auch der Landrat des Kreises Steinfurt hat diese unterschrieben. Das heißt: Es wird Widerstand geben. Und das heißt: Es wird zu Verzögerungen bei der Umsetzung kommen. Diese Verzögerungen  - und natürlich auch Frustration, Ohnmachtserfahrungen und daraus resultierende Politikverdrossenheit - können wir uns nicht mehr leisten.

Was ist mit dem kommunizierten Ziel des Vorhabenträgers, das ohnehin überlastete Wechselstromnetz im Münsterland zu entlasten?

JARASS: Durch die geplante 380-kV-Wechselstromleitung zwischen Westerkappeln und Gersteinwerk wird das Stromnetz im Münsterland nicht entlastet, vielmehr wird durch den geplanten Transport von Windstrom aus der Nordsee bis nach Ibbenbüren und die dort geplante Umwandlung in Wechselstrom das Wechselstromnetz zusätzlich belastet. Transportiert man hingegen den Windstrom – mit weniger Verlusten – mit den ohnehin geplanten Gleichstromleitungen weiter in Richtung Süden, wo er eigentlich hin soll, nämlich in die Bedarfszentren im Ruhrgebiet, dann wird so das Wechselstromnetz im Münsterland entlastet.

HOFFMEISTER-HÖFENER: Wir müssen die Aufgabe und die Herausforderung, die Versorgungsnetze in der Region auszubauen, von der nun geplanten Stromautobahn von Nord nach Süd trennen. Wir im Münsterland produzieren selbst viel Windenergie. Diesen Strom müssen wir regional, dezentral besser verteilen. Das Vorbild der Klimakommune Saerbeck zeigt zudem, dass eine konsequente Umsetzung des lokalen Stromhandels das öffentliche Netz deutlich entlastet. Weitere Maßnahmen werden in Zukunft die Erhöhung der Speicherkapazitäten und der netzdienliche Einsatz dieser Ressourcen sein sowie die digitale Steuerung der Netze. Angesichts dieser Aufgaben und Möglichkeiten hat die Zukunft jetzt schon begonnen. Eine weitere Stromautobahn auf Wechselstromebene, die den Strom einfach an uns vorbei ins Ruhrgebiet transportiert, hilft uns da nicht weiter.

Stimmen die von Ihnen ermittelten Planungsalternativen überhaupt noch mit den Zielsetzungen der Bundesregierung, nämlich der schnelle und kosteneffiziente Ausbau unserer Stromnetze, überein?

JARASS: Wir weisen in unserem Gutachten nachdrücklich darauf hin, dass der am 01. März 2024 durch die Bundesnetzagentur bestätigte Netzentwicklungsplan Strom (NEP) 2023-2037 im Widerspruch zum geltenden Energiewirtschaftsgesetz steht. Laut Energiewirtschaftsgesetz (§ 12b Abs. 1 S. 3 EnWG) müssen Übertragungsnetzbetreiber bei der Netzausbauplanung eine Kappung von Einspeisespitzen zwingend berücksichtigen. Der NEP Strom 2023-2037 berücksichtigt die im Energiewirtschaftsgesetz zur Verringerung des Netzausbaus geforderte Kappung von Einspeisespitzen explizit nicht. Dabei könnten durch den dann deutlich geringeren Netzausbaubedarf nicht nur die Erhöhung der Netzentgelte abgemildert werden, sondern auch gravierende Schäden an Umwelt und Natur gemindert oder gänzlich vermieden werden. In unserem Zusammenhang heißt das: Ja, eine Bündelung von Strominfrastrukturprojekten, wie von uns vorgeschlagen, hilft wertvolle Zeit zu sparen und unnötige Kosten beim Netzausbau vermeiden.

HOFFMEISTER-HÖFENER: Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Bürger und Bürgerinnen bei der Energiewende mitnehmen müssen. Wir müssen die Transformation unserer Gesellschaft in eine nachhaltige und klimaneutrale Zukunft gemeinsam anpacken. Wenn die Gesetzgeber nun eine Maßnahme, die so umstritten und nicht mehr plausibel vermittelbar ist, einfach über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchzudrücken versuchen, dann werden sich viele, sehr viele Menschen frustriert von „der Politik“ abwenden. Und sie werden sogenannte „Alternativen“ suchen. Und der grüne Konsens unserer Gesellschaft gerät in Gefahr. Das möchten wir nicht. Wir möchten daran mitwirken, dass unsere Energiewende gelingt. Dafür setzen wir uns ein.
 

Wie soll es aus Ihrer Sicht nun weitergehen?

REISCHERT: Nun, auch angesichts des breiten Unverständnisses der Bevölkerung hoffen wir, dass die Bundesregierung bzw. die Bundesnetzagentur die dargestellten Planungsalternativen jetzt zügig gründlich prüft. Der Bundesbedarfsplan wird ja immer wieder überarbeitet, Projekte werden gestrichen, andere werden aufgenommen. Noch ist es für eine vernünftige Lösung, die sowohl dem Schutz der Menschen und der Natur als auch den Zielen der Energiewende Rechnung trägt, nicht zu spät.
 

Vielen Dank für das Gespräch.

  • Aktionsbündnis 89 - Wer wir sind

    Aktionsbündnis 89 - Wer wir sind

    Das Aktionsbündnis 89 ist ein Zusammenschluss aller Initiativkreise aus dem Tecklenburger Land und Münsterland, die sich gegen den Bau der geplanten 380 kV-Stromtrasse durch ihren Lebensraum wehren. Wir sind für die Energiewende, aber gegen die neue Hochspannungsleitung quer durch das Tecklenburger Land und Münsterland.

Zuwendungen

IBAN: DE38 4036 1906 8673 7192 00
BIC: GENODEM1IBB
Bank: Volksbank im Münsterland eG

Empfänger: BI Aktionsbündnis 89

Spendenquittungen können nicht ausgestellt werden.

Unsere Initiative

Wir klären über die Auswirkungen des Vorhabens 89 für Mensch, Tier, Natur und Umwelt auf. Wir vernetzen uns mit anderen Initiativen und bündeln Ressourcen. Wir machen die Dimensionen des Vorhabens 89 einer breiten Öffentlichkeit verständlich und initiieren Kampagnen.

Unsere Ziele

Grundlegende Überprüfung der Planungen für die 380kV-Freileitung (BBPIG 89) und Einhaltung der Raumordnungsziele zum Schutz von Wohngebieten und Naturschutzflächen sowie eine objektive Prüfung der Umweltverträglichkeit durch wissenschaftliche Gutachten. Wir fordern die konsequente Bündelung von geplanten neuen Strominfrastrukturprojekten zur Entlastung des Raumes - und zwar nicht erst auf Wechselstromebene, sondern bereits mit den geplanten Gleichstromprojekten. Eine Großbaustelle reicht.

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